Fundstücke zur Mathematikdidaktik

1. Auf das Lernen konzentrieren

Unabhängig, ob man an buddhistische Lehren glaubt oder nicht, empfehlen wir das Buch "Ratschläge des Herzens" zu lesen, das vom Dalai Lama geschrieben wurde. Es vermittelt viele Werte, die jeden Menschen persönlich bereichern können - und damit auch unserer Gesellschaft zugute kommen.

Bereits auf einer der ersten Seiten des Buches findet man seine Ausführungen zum Lernen, die wir im Folgenden zitieren möchten, da sie Werte des Lernens vermitteln:

Wenn junge Menschen nicht all ihre Anstrengungen aufs Lernen konzentrieren, dann wird es ihnen später schwerfallen, diese Lücke zu füllen. Ich habe das am eigenen Leib feststellen können. Manchmal hat mich das, was ich gerade lernen sollte, überhaupt nicht interessiert, und meine Anstrengungen ließen sehr zu wünschen übrig. Später habe ich das dann bereut. Ich sage mir immer, dass ich damals etwas versäumt habe. Aufgrund dieser Erfahrung rate ich allen jungen Menschen, die Zeit des Lernens als eine entscheidende Phase ihres Lebens anzusehen.

"Außerdem muss man schon als Kind lernen, andere zu verstehen und einander zu helfen. Kleinere Streitereien und Konflikte sind unvermeidlich, aber es ist wichtig, sich daran zu gewöhnen, Dinge auch gut sein zu lassen und keinen Groll zu hegen.

In der Kindheit entfaltet sich die Intelligenz, und der Geist ist voll von Fragen. Dieser intensive Wissensdurst ist die Grundlage für unser inneres Wachstum. Je mehr wir uns für die Welt rund um uns interessieren und je mehr wir nach dem Warum und Wie der Dinge fragen, desto klarer wird unser Bewusstsein und desto besser kann sich unsere Eigeninitiative entwickeln."

aus: "Dalai Lama - Ratschläge des Herzens"

2. Geometrie in der Schule

Beitrag zur Geometrie in der Schule mit einem kritischen Zitat von Mlodinow.

Ich hatte das Vergnügen, das sehr gute Buch über Mathematik „Das Fenster zum Universum: Eine kleine Geschichte der Geometrie“ zu lesen. Es lässt die Geschichte der Mathematik lebendig werden. Dabei ist keine einzige Seite langweilig, sondern spannend und erkenntnisreich!

Beim Lesen sind mir die beiden folgenden Absätze ins Auge gefallen, die ich hiermit zitieren möchte. Sie kritisieren die schulische Didaktik:

"Das Grundmanifest all dieser schöpferischen Revolutionen in der Geschichte der Geometrie schrieb ein geheimnisvoller Mann namens Euklid. Wenn man sich nicht mehr allzu gut an jenes tödliche Schulfach 'Euklidische Geometrie' erinnert, dann deshalb, weil man die Stunden verschlafen hat. Der in der Schule übliche Einstieg in die Geometrie ist dazu angetan, das Hirn eines jungen Menschen in Stein zu verwandeln.

Aber Geometrie im Sinne Euklids ist eigentlich eine aufregende Angelegenheit. Sein Werk zeichnet sich nicht nur durch vollendete Schönheit aus, sondern hatte auch eine Wirkung, die sich mit derjenigen der Bibel messen kann. Euklids Ideen sind so radikal wie die von Marx und Engels. Mit seinen Elementen, in denen er seine Ideen niederlegte, öffnete er für uns ein Fenster mit Blick auf das Universum."

aus: Das Fenster zum Universum. Eine kleine Geschichte der Geometrie

3. Die Mathematik-Lehre nach Clairaut

Kurzer Einblick in die Mathematik-Lehre von Clairaut. Es solle stets gezeigt werden, wie man zum Lehrsatz gelangt ist!

In dem Skript Der Satz des Pythagoras - eine "qualitas occulta"? von Prof. Baptist, Universität Bayreuth, findet sich ein lesenswerter Abschnitt zum französischen Mathematiker Alexis Claude Clairaut (1713 - 1765).

Seine Art des Lehrens wird wie folgt beschrieben und sollte ein Beispiel für alle heutigen Lehrer sein:

Alexis Claude Clairault

Er lehnt es ab, die Lernenden mit fertigen Lehrsätzen zu konfrontieren, die erst im Nachhinein bewiesen werden. Sein Ziel ist es, Anregungen zum Erfinden, zum Entdecken zu geben:

„… ich vermeide sorgfältig, einen einzigen Satz unter der Gestalt eines Lehrsatzes vorzubringen, nämlich, von derjenigen Beschaffenheit, da bewiesen wird, daß eine Wahrheit ist, ohne zu zeigen, wie man dahin gelanget ist, sie zu entdecken.“

Nach Clairaut spielt nicht die Vermittlung von Ergebnissen, sondern es spielen die Überlegungen, die zu den Ergebnissen führen, die zentrale Rolle.

„Ich habe bey mir gedacht, es müsse doch diese Wissenschaft, wie alle andere, nach und nach entstanden seyn... und es könne dieser erste Fortgang unmöglich über den Verstand der Anfänger seyn, weil es ja Anfänger waren, welche ihn machten.“

(...)

[Voltaire über Clairauts Methode:]
„Sie erfordert im Lehrer eine Flexibilität des Geistes, der sich den jeweiligen Bedingungen anpassen kann, und eine seltene Anmut in jenen, die der Routine ihres Berufes nachgehen.“

Ist es nicht genau das, was gute Lehre ausmacht? Dem Lernenden zu zeigen, dass kein Genie mit Unmengen an Wissen und Weisheit geboren wurde, sondern sich jeder Mensch Wissen erarbeiten muss(te).

Jede Wissenschaft begann mit einem "Anfänger"!

Wenn also ein Schüler ein neues Wissensgebiet betritt, sollte sein erster Gedanke sein: „Dieses vor mir liegende Wissen stammt von jemandem, der zu Beginn wie ich da stand: Ohne eine Ahnung und ohne Kenntnis darüber. Ich betrete also ein mir unbekanntes Neuland, das es zu entdecken gilt! – Also werde ich versuchen, es entweder so zu entdecken, wie es die Menschen vor mir entdeckt haben, oder einen eigenen Weg finden.“

Nach Clairaut werden heute übrigens drei Gleichungen benannt:

  • Der Satz von Clairaut (Erdmessung) zur Berechnung der Abplattung der Erde. Er beschreibt die Beziehung zwischen Abplattung, Schwere und Erdrotation. 1743 entwickelt (Clairaut war 30 Jahre alt).
  • Der Satz von Clairaut (Differentialgeometrie) über geodätische Linien auf Rotationsflächen.
  • Die Clairautsche Differentialgleichung zur Berechnung von Gleichgewichtsfiguren mit nach innen stetig zunehmenden Dichten. Beschreibung.

Clairauts Bücher gibt es kostenfrei auf: Google Books (Clairaut)

Deutschsprachiges Exemplar (Übersetzung von 1773): Anfangsgründe der Geometrie (Alexis Claude Clairaut)

4. Reichtum durch Bildung

Wir haben den englischen Bestseller „Naked Economics“ (Ch. Wheelan, 2002) in die Hand bekommen und eine interessante Stelle gefunden, die wir euch nicht vorenthalten möchten.

Im Folgenden eine freie Übersetzung des Auszugs:

Der Wirtschaftswissenschaftler Gary Becker, der den Wirtschaftsnobelpreis im Jahre 1992 erhielt, schätzt, dass ungefähr 75 Prozent des Reichtums einer modernen Volkswirtschaft auf Bildung und Fachkenntnissen begründet sind1. Nicht auf Diamanten, Öl oder dergleichen, sondern auf Dingen, die wir im Kopf mit uns herumtragen. In einer Rede sagte er, dass alle Formen von Kapital (physisches Kapital wie Maschinen und Fabriken, Geldkapital, Warenkapital etc.) wichtig sind, aber das wichtigste von ihnen das Humankapital ist. Es ist in einer modernen Wirtschaft die bedeutendste Form von Kapital, die Reichtum und Wachstum ermöglicht.

Man erkennt einen deutlichen Zusammenhang zwischen der Größe des Humankapitals und der wirtschaftlichen Situation eines Landes, jedoch gibt es keinen Zusammenhang zwischen der Menge an Bodenschätzen und dem Lebensstandard eines Landes. Länder wir Japan und die Schweiz gehören zu den reichsten Ländern der Welt, trotzdem sie keine bedeutenden Bodenschätze besitzen. Im Gegensatz hierzu hat das Beispiel Nigeria Unmengen an Erdöl, die jedoch wenig zum Lebensstandard der Bevölkerung beitragen.

Ein Zeichen für hohes Humankapital ist, dass gebildete Eltern ihr Einkommen in die Bildung ihrer Kinder investieren. Niedriges Humankapital hat den gegenteiligen Effekt. Statistisch sorgen niedrig gebildete Eltern entsprechend weniger für die Bildung ihrer Kinder.

1Gary Becker, “Economic Evidence on the Value of Education”, Remarks to executives of the Lotus Development Corporation, January 1999.

5. Rückblick auf meine Schulzeit

Mathematik macht Dir nicht Spaß? Es könnte am Lehrer und seiner Art zu unterrichten liegen. Ein Appell: Erkenne die Schönheit der Mathematik!

Heute habe ich uralte Unterlagen aus meinem Mathematik-Unterricht der 9. und 10. Klasse entsorgt. Ein komisches Gefühl! Meiner Erinnerung nach hatte mir Mathematik damals nicht übermäßig Spaß bereitet (wahrscheinlich geht es euch genauso).

Aus heutiger Sicht kann ich jedoch sagen: Es lag nicht an der Mathematik selbst, sondern am Lehrer und seiner Art zu unterrichten!

Beim Durchblättern der Unterlagen ist mir aufgefallen, dass:

  1. wir Schüler oft nur Schreibarbeit leisten mussten, im Vordergrund stand der Lehrplan, der um jeden Preis geschafft werden sollte,
  2. mit Definitionen nur so umhergeworfen wurde, ohne den Sinn zu verdeutlichen,
  3. keinerlei Fokus auf das Verständnis des Schülers und den Weg des Wissens zum Lernenden (richtig verpackt) gelegt wurde.

Traurig, aber wahr... ich habe dadurch leider erst spät die Schönheit der Mathematik erkannt; vorher blieb sie mir verwehrt. Möglicherweise wäre es für mich (und jeden anderen!) besser gewesen, hätte ich sie schon während der Schulzeit entdeckt!

So möchte ich die Gelegenheit nutzen und einen kleinen Appell an all die Schüler und Schülerinnen da draußen richten:

Bitte verwechselt nie die Aussage "Ich mag Mathe nicht." mit der Aussage "Ich mag den Mathe-Lehrer nicht". Mathematik ist mehr als ihr euch derzeit vielleicht vorstellen könnt. Sie kann jedem viel bieten! Verwehrt euch also nicht den Weg zu einer interessanteren Welt!

Oder ist ein gutes Buch vielleicht ein guter Start in die Mathematik?

* Ein recht junges Buch, das aber bereits viele Leser begeistert hat: Fermats letzter Satz: Die abenteuerliche Geschichte eines mathematischen Rätsels

* Das Buch, das mir am besten gefällt, ist leider schon vergriffen (doch gebraucht noch erhältlich): Das Fenster zum Universum - Eine kleine Geschichte der Geometrie

Weitere gute Mathebücher hier.

6. Veranschaulichung

Viele Schüler und Studenten schreiben uns in ihren Nachrichten und Kommentaren, dass sie die Inhalte von Matheretter oft viel besser verstehen als in der Schule. Woran liegt das?

Dies hat wahrscheinlich mehrere Gründe. Einer ist jedoch sicher die Art der Veranschaulichung. Als Denkanstoß hierzu soll das folgende, etwas längere Zitat des Pädagogen Johann Amos Comenius (1592 - 1670) dienen:

„Alles soll wo immer möglich den Sinnen vorgeführt werden, was sichtbar dem Gesicht, was hörbar dem Gehör, was riechbar dem Geruch, was schmeckbar dem Geschmack, was fühlbar dem Tastsinn. Und wenn etwas durch verschiedene Sinne aufgenommen werden kann, soll es den verschiedenen zugleich vorgesetzt werden.

Der Vernunft glauben wir nur, soweit sie durch Einzelanführung von Beispielen (deren Zuverlässigkeit sich mit den Sinnen erforschen läßt) Beweise gibt. Aber gegen die Erfahrung der eigenen Sinne fremdem Zeugnis zu glauben, dazu wird sich keiner überreden lassen. Daher ist eine Wissenschaft um so zuverlässiger, je mehr sie sich auf die Sinne stützt.

Wenn wir also den Schülern wahres und zuverlässiges Wissen von den Dingen einpflanzen wollen, so müssen wir wirklich alles durch eigene Anschauung (autopsia) und sinnliche Demonstration lehren.

Und weil die Sinne die treuesten Sachwalter des Gedächtnisses sind, so wird diese Veranschaulichung der Dinge bewirken, daß jeder das, was er weiß, auch behält.“

aus: Große Didaktik: Die vollständige Kunst, alle Menschen alles zu lehren