Denkprozesse beim Bruchrechnen

Mit der Einführung der Brüche und deren Rechenarten stoßen die meisten Schüler das erste Mal auf Schwierigkeiten, sich Sachverhalte und Zusammenhänge vorzustellen.

Die vorher gelernten Grundrechenarten, die negativen Zahlen sowie die Kommazahlen waren noch relativ einfach zu verstehen. Bei den Brüchen gibt es jedoch mehrere Zusammenhänge, die dem Lernenden klar werden müssen.

Formeln oder das „Warum“ verstehen

Es gibt zwei Möglichkeiten, wie Mathematik gelernt werden kann:

1. Die Formel auswendig lernen und die in einer Aufgabe gegebenen Zahlen einsetzen und ausrechnen.

2. Die Formel verstehen und welchen Zusammenhang sie darstellt.

Variante 1 birgt die Gefahr, dass man die Aufgabe - sobald sie nur ein wenig von der Form abweicht - mit Hilfe der Formel nicht mehr lösen kann.

Variante 2 hat den enormen Vorteil, dass man den Zusammenhang abstrahiert hat und die Chancen wesentlich höher stehen, eine veränderte Aufgabe, die nicht der Form entspricht, trotzdem erfolgreich zu lösen.

Es sei an dieser Stelle behauptet, dass ein interessierter, wissbegieriger Schüler sehr häufig nach dem „Warum“ fragt. Mit den erlernten Begründungen ist er in der Lage, zukünftige Dinge noch besser zu verstehen und zu vertiefen. Zudem sieht er wesentlich mehr mathematische Lösungsansätze als ein Schüler, der sich auf nur eine Formel verlässt.

Aufklärende Fragen bei der Bruchrechnung

Ein wissbegieriger Schüler könnte also bei der Einführung der Bruchrechnung fragen:

Mit den Antworten, die er erhält, schafft er sich einen Wissenspool, mit dem er jede Aufgabe hinterfragen kann.

Zudem ist der Schüler nicht gezwungen, sich auf eine Formel verlassen zu müssen, sondern hat die Fähigkeit, die Richtigkeit von Angaben zu verifizieren. Auch kann er Aussagen kritisch prüfen, indem er diese auf sein vorhandenes Wissen reflektiert.

Das „Argumentieren“ gilt als Kompetenz, die ein Schüler erwerben sollte. Argumentieren findet jedoch erst statt, wenn man reflektieren und entsprechende Sachverhalte kommunizieren kann. Dies gilt als Kompetenz des „Darstellens“.

Darstellungen der Bruchrechnung

Es gibt verschiedene Möglichkeiten, die Bruchrechnung darzustellen. Nachfolgend eine Tabelle mit Beispielen:

Symbolisch \( \frac{1}{4} + \frac{1}{3} \)
Gesprochen „Ein Viertel plus ein Drittel.“
Handelnd „Ein Viertel Kuchen und ein Drittel Kuchen werden zusammengelegt. Wie viele Kuchenstücke können wir schneiden?“
Kontextual „Steffi bringt ein Viertel Kuchen zur Feier. Leo bringt ein Drittel Kuchen. Wie groß ist der Kuchen?“
Visuell bruch addition ein viertel plus ein drittel

Um die Aufgabe lösen zu können, ist ggf. der visuelle Weg der einfachste. Man zeichnet die Kuchenstücke und teilt sie auf eine gleiche Größe (also 12tel Stücke). Diese legt man dann zusammen und erkennt das Ergebnis. Darüber hinaus besteht die Chance, dass der Schüler versteht, warum man gleichnamige Brüche benötigt.

Lösung bruch addition ein viertel plus ein drittel

Hier kann der Lehrer erkennen, ob der Schüler in der Lage ist, die Zahlen in Flächenstücke zu übertragen und andersherum.

Würde der Schüler nur die Formel auswendig kennen (also Brüche gleichnamig machen und dann Zähler plus Zähler rechnen), könnte er sich die visuelle Darstellung nicht erklären. Er wäre nicht in der Lage, das Auswendiggelernte auf die visuelle Situation zu übertragen.

Studien zum Verständnis der Bruchrechnung

In einer Studie (Hasemann, 1981, „On difficulties with fractions“) zeigte sich, dass ein Großteil der Schüler nur die gelernten Regeln anwendete, ohne die Zusammenhänge zu verstehen. Schlimmer sogar, es wurde nicht erkannt, dass eine symbolische Aufgabe wie \( \frac{1}{4} + \frac{1}{3} \) das gleiche ist wie ihre visuelle Darstellung in Flächenform.

Es stellte sich heraus (Prediger, 2011, „Why johnny can't apply multiplication? revisiting the choice of operations with fractions“), dass ca. 40 % der Schüler in der Lage sind, die Addition von Brüchen in einem Kontext darzustellen (also Alltagsbeispiele für die Bruchaddition zu finden), es jedoch nur 4 % von Schülern für die Bruchmultiplikation gelang. Trotzdem war es ihnen möglich, die Aufgaben symbolisch (rechnerisch) zu lösen.

Es bleibt festzuhalten, dass ein Großteil der Schüler die wesentlichen Erkenntnisse, die die Bruchrechnung mit sich bringen kann, nicht erlangt und die Rechenoperationen nicht versteht. Außerdem ist vielen Schülern ein Transferdenken nicht möglich.

Sollten Sie Lehrer/in sein, so stellen Sie Ihren Schülern (Sekundarstufe 1) einmal folgende Multiple-Choice-Aufgabe:

Ein Kilo Kartoffeln kostet 2,00 Euro. Paul kauft sich \( \frac{3}{5} \) kg Kartofffeln. Mit welcher Rechnung weiß er, wie viel er zahlen muss?

A: 2,00 Euro \(+ \frac{3}{5} \)
B: 2,00 Euro \(- \frac{3}{5} \)
C: 2,00 Euro \(: \frac{3}{5} \)
D: 2,00 Euro \(· \frac{3}{5} \)
E: Keine der Antworten ist richtig.

Gemäß der oben genannten Studie (Prediger, 2011) sollten nur unter 30 % der Schüler richtig liegen.

Es bleibt festzuhalten:

Viele Schüler sind in der Lage zu rechnen, aber nicht in der Lage zu verstehen!

Mit vielfältigen Ansätzen versuchen wir bei Matheretter, bei Lernenden sogenannte Grundvorstellungen der Mathematik zu schaffen. Hierzu erklären wir einen Sachverhalt aus mehreren Perspektiven, setzen Visualisierungen ein, zeigen Beispiele und ausführliche Lösungsschritte. Zudem können Schüler die Lernprogramme zu den Brüchen nutzen und ihr Verständnis auf mehrere Weisen testen.

Jeder Mensch lernt, indem er Fehler macht. Diese Fehler müssen aufgegriffen und mit den Schülern diskutiert werden. Denn mit der Reflektion der Ursprünge des Fehlers verfestigt sich das korrekte Wissen bei den Schülern und sie werden in die Lage versetzt, diese Fehler zukünftig selbst zu erkennen.

Diese Diskussion ist individuell und kann nur durch den Lehrer erfolgen (oder unter Umständen auf der Mathelounge).

Es sei angemerkt, dass ein Teil von Schülern nicht daran interessiert ist, Zusammenhänge zu verstehen (und die „Extrameile zu gehen“). Hier ist es jedoch Aufgabe der Eltern und Lehrer, den Schülern zu verstehen zu geben, dass keinem ein Erfolg in den Schoß gelegt wird (was tatsächlich einer Lebensweisheit entspricht). Und dass eine gute Note wesentlich wahrscheinlicher wird, wenn mehrere Zusammenhänge verstanden werden.

Diese „Haltung“ stellt im Übrigen auch eine Kompetenz dar.